Ermessensreduzierung auf Null: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe verpflichtete eine Baurechtsbehörde, die Baugenehmigung für die Errichtung eines Aufzugsturms zu erteilen. Das Prinzip der Barrierefreiheit entfaltet eine Steuerungswirkung für das der Baurechtsbehörde zustehende Ermessen, soweit über Nebenanlagen zu entscheiden ist, die der Herstellung eines barrierefreien Zugangs zur vorhandenen Hauptnutzung dienen. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kommt eine Ablehnung in Betracht. Dabei spielt es nach Auffassung des Gerichts auch keine wesentliche Rolle, ob bereits eine Behinderung vorliegt oder erst später mit altersbedingten Einschränkungen gerechnet werden muss.
Der von der Kanzlei Dr. Melchinger vertretene Bauherr beabsichtigte die Errichtung eines ca. 12,5 Meter hohen Aufzugsturmes, der über einen Steg mit dem rund 10 m über der Straße gelegenen Wohnhaus verbunden werden sollte. Hierzu benötigte er eine Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze. Dies lehnte die Behörde ab, da die Baugrenze – gerade bei einem Hanggrundstück – tragender Bestandteil der Planungskonzeption sei. Der Turm sei keine untergeordnete Nebenanlage im Sinne von § 14 BauNVO. Der Bauherr trat dem mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht mit der Begründung entgegen, dass der Auszugsturm sehr wohl eine bauliche Nebenanlage sei und dass ferner das Ermessen der Baurechtsbehörde nach § 23 Abs. 5 S. 1 BauNVO unter dem Aspekt der Barrierefreiheit – wie er aus der UN-Behindertenrechtskonvention sowie § 35 LBO folge – auf Null reduziert sei.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe bejahte den Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung. Es verwies hierbei zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu Nebenanlagen. Nach dieser liegt eine untergeordnete Nebenanlage vor, wenn sie sich sowohl nach ihrer Funktion wie auch räumlich-gegenständlich dem Nutzungszweck der Grundstücke sowie dem Nutzungszweck der entsprechenden Bebauung dienend zu- und unterordnet. An einer Unterordnung fehlt es, wenn die Nebenanlage gegenüber der Hauptanlage gleichwertig erscheint oder diese gar optisch verdrängt. Dies ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes bei Aufzugsanlagen nur in ungewöhnlichen Ausnahmefällen gegeben; hier lag dagegen die dienende Funktion als Nebenanlage geradezu auf der Hand.
Somit hatte die Behörde nach § 23 Abs. 5 S. 1 BauNVO eine Ermessensentscheidung über die Genehmigung zu treffen. Das Gericht geht davon aus, dass dieses Ermessen regelmäßig zu Gunsten des Bauherrn auf Null reduziert ist, soweit zuzulassende Nebenanlagen der Herstellung eines barrierefreien Zugangs zu einer auf dem Grundstück vorhandenen Hauptnutzung dienen. Dies folgt aus dem u.a. in § 35 LBO festgeschriebenen Gebot der Barrierefreiheit und der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG. Eine Verweigerung des barrierefreien Umbaus kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht. Sie könnte nicht selten dazu führen, dass Eigentümer zumindest langfristig zum Verkauf gezwungen wären. Da die meisten Menschen irgendwann mit altersbedingten Einschränkungen rechnen müssen, ist aus Sicht des Gerichts auch nicht einzusehen, warum mit der Umgestaltung bis zum Eintritt solcher Einschränkungen abgewartet werden müsste. Bauherren müssen auch nicht andere – teurere – bauliche Lösungen prüfen, so lange eine solche Aufzugsanlage als untergeordnete Nebenanlage qualifiziert werden kann. Das Urteil ist rechtskräftig.