Normenkontrollklage: Bebauungsplan für urbanes Gebiet wegen fehlender Erforderlichkeit und Festsetzungsfehlern unwirksam

Mai, 2022 in Bauleitplanung und Fachplanung

Die Voraussetzung der Erforderlichkeit eines Bebauungsplans im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB gilt nicht nur für die Planaufstellung als solche, sondern auch für den konkreten Planinhalt. Wenn die Gemeinde laut Planbegründung das Ziel verfolgt, ein urbanes Gebiet festzusetzen, andererseits aber die Detailfestsetzungen zur Art der baulichen Nutzung so gestaltet sind, dass die Gebietsfunktion nicht mehr von einem Mischgebiet unterscheidbar ist, dann folgt daraus gerade nicht, dass die Festsetzungen vernünftigerweise geboten und damit erforderlich waren. Dies stellte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im vorliegenden Normenkontrollverfahren fest und erklärte den Bebauungsplan für unwirksam. Der VGH erkannte zudem verschiedene Festsetzungsfehler und äußerte ferner Zweifel, ob der Bebauungsplan formell rechtmäßig zustande gekommen war; bedenklich erschien u.a. eine Formulierung in der ortsüblichen Bekanntgabe der Gemeinderatssitzung.

In ihrem 2018 als Satzung beschlossenen vorhabenbezogenen Bebauungsplan hatte die im späteren Normenkontrollverfahren von der Kanzlei Dr. Melchinger vertretene Stadt vier mit „MU“ (Urbanes Gebiet) bezeichnete Flächen festgelegt. In den textlichen Festsetzungen hatte sie Wohn-, Geschäfts- und Bürogebäude sowie sonstige Gewerbebetriebe für zulässig erklärt, andererseits u.a. Einzelhandel, Gaststätten, Vergnügungsstätten und Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke für unzulässig erklärt. Im Vorhaben- und Erschließungsplan waren ein Mehrfamilienhaus mit 17 Wohneinheiten und (in einem 2. Bauabschnitt) ein weiteres Wohngebäude mit 8 Wohneinheiten vorgesehen. Im näheren Umfeld des Plangebiets befinden sich Betriebsstätten verschiedener Unternehmen und Wohnnutzungen. Ein Unternehmen, das Eigentümer eines angrenzenden, gewerblich bzw. industriell genutzten Grundstücks ist, rügte, der Bebauungsplan lasse Wohnnutzungen zu, die geeignet seien, ihren Gewerbestandort und dessen zukünftige Entwicklung zu beeinträchtigen. Das Unternehmen erhob Normenkontrollklage beim VGH.

Für den Verwaltungsgerichtshof war schon zweifelhaft, ob der Bebauungsplan überhaupt formell rechtmäßig zustande gekommen war. Bedenklich erschien dem Gericht zum einen, dass die ortsübliche Bekanntgabe der Ratssitzung, in der der Satzungsbeschluss gefasst wurde, am Ende den Zusatz enthielt, die Einwohner seien herzlich zur Sitzung eingeladen. Dies könne so verstanden werden, dass die Sitzung lediglich für Einwohner öffentlich zugänglich gewesen wäre. Wegen der vorliegenden materiellen Fehler bedürfe dies allerdings keiner abschließenden Entscheidung.

Auch äußerte der VGH Zweifel, ob die Stadt die mit der Planung verbundenen Lärmkonflikte korrekt ermittelt hatte. Das Schallgutachten habe pauschal einen Schallleistungspegel für Gewerbegebiete angesetzt, obwohl für die Umgebung kein Bebauungsplan existiert, der ein Gewerbegebiet festsetzt. Stattdessen hätte geprüft werden müssen, welches Immissionsniveau die angrenzenden Betriebe aufgrund ihrer jeweiligen Baugenehmigungen maximal in Anspruch nehmen dürften.

Auch in materieller Hinsicht befand der Verwaltungsgerichtshof den Bebauungsplan für rechtswidrig. Ihm mangele es insbesondere an der Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 BauGB. Denn die Voraussetzung einer "Erforderlichkeit" gelte nicht nur für die Planaufstellung als solche, sondern auch für den konkreten Planinhalt, d.h. für jede einzelne Festsetzung. Hier verfolgt die Stadt laut Planbegründung das Ziel, im Plangebiet ein urbanes Gebiet festzusetzen, in welchem der gewerbliche Charakter des Gebiets erhalten bleibt und Wohnnutzung ermöglicht wird. Allerdings wurden dann in den Detailfestsetzungen u.a. Anlagen für Veranstaltungen sowie für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke ausgeschlossen. Die besondere Funktion urbaner Gebiete besteht aber gerade darin, dass dort - im Unterschied zum Mischgebiet - soziale, kulturelle und ähnliche Einrichtungen ermöglicht werden. Diesem Ziel dient es nicht, wenn eine Gemeinde - wie hier - ein urbanes Gebiet festsetzt und dann die Detailfestsetzungen zur Art der baulichen Nutzung so gestaltet, dass die Gebietsfunktion nicht von der eines Mischgebiets zu unterscheiden ist.

Weitere Festsetzungsfehler sah der VGH darin, dass die Abgrenzung zwischen Vorhabengebiet und restlichem Plangebiet nicht ausreichend klar werde. Auch rügte das Gericht die grundstücks- und nicht gebäudebezogene Festsetzung des jeweils zulässigen Anteils an der Geschossflächenzahl für Wohnungen bzw. gewerbliche Nutzung. Des weiteren sei es nicht mit § 12 Abs 4 BauGB vereinbar, dass mehr als nur "einzelne Flächen" außerhalb des Vorhaben- und Erschließungsplanes in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan einbezogen wurden; die vorliegend einbezogenen Flächen seien quantitativ nicht untergeordnet und qualitativ für das vorgesehene Vorhaben städtebaulich nicht erforderlich.

Das Urteil ist rechtskräftig.