Versorgungsabschläge bei ehemals teilzeitbeschäftigten Beamtinnen rechtswidrig – Baden-Württemberg muss bestandskräftige Bescheide für die Zukunft ändern

Januar, 2012 in Öffentlicher Dienst und kirchlicher Dienst

Verbesserung für Versorgungsempfänger: Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 02.12.2011 ein verwaltungsgerichtliches Urteil bestätigt, nach dem das Landesamt für Besoldung und Versorgung zur Rücknahme von gesetzlichen Kürzungen bei ehemals teilzeitbeschäftigten Beamtinnen verpflichtet ist, die sich wegen Verstoßes gegen Europa- und Verfassungsrecht im Nachhinein als nichtig erwiesen hatten.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 02.12.2011 die Berufung des Landes Baden-Württemberg gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zurückgewiesen. Dieses hatte im Mai 2009 der Klage einer Ruhestandsbeamtin stattgegeben, bei der ein Versorgungsabschlag für teilzeitbeschäftigte Beamte vorgenommen worden war. Das Gericht hat angeordnet, dass das Landesamt für Besoldung und Versorgung die Versorgungsbezüge für die Zeit ab Antragstellung ohne Berücksichtigung des Versorgungsabschlags Beamte neu zu berechnen hat. Die von der Kanzlei Dr. Melchinger vertretene Ruhestandsbeamtin hatte dies im Hinblick auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs beantragt, obwohl sie bereits seit Jahren Versorgungsbezüge mit Abschlägen erhielt und gegen den ursprünglichen Festsetzungsbescheid aus dem Jahr 2003 nicht vorgegangen war. Das Landesamt hatte die Änderung unter Hinweis auf die Bestandskraft der Ursprungsentscheidung abgelehnt.

Der Verwaltungsgerichtshof führt aus, dass der Behörde zwar grundsätzlich ein Ermessen zusteht, soweit die Rücknahme eines Verwaltungsaktes begehrt wird. In der Regel ist die Ablehnung eines Antrags auf Rücknahme ermessensfehlerfrei, wenn nur Umstände vorgetragen werden, die auch schon in einem Widerspruchsverfahren hätten geltend gemacht werden können. Der hier entschiedene Fall wies jedoch Besonderheiten auf: Die Rechtswidrigkeit beruhte nicht auf einem Rechtsanwendungsfehler, sondern darauf, dass sich eine gesetzlich vorgegebene Kürzungsvorschrift im Nachhinein wegen Verstoßes gegen europarechtliche Vorgaben und gegen Verfassungsrecht für nichtig erklärt wurden. Diese Konstellation führt zu einer Ermessensreduzierung auf Null, weil laut Gericht insoweit die Aufrechterhaltung des Versorgungsfestsetzungsbescheides für die Klägerin schlechthin unerträglich gewesen wäre.

Der Verpflichtung der Verwaltung, stets rechtmäßige Zustände herzustellen, kommt nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs besondere Bedeutung zu, wenn es sich wie in diesem Fall um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Beruht ein solcher Verwaltungsakt auf einem verfassungswidrigen Gesetz, so ist dessen Bestandskraft regelmäßig nur für die Vergangenheit geschützt. Für die Zukunft, also ab Antrag auf Änderung, hat die materielle Gerechtigkeit grundsätzlich Vorrang. Von einer Rücknahme weiterhin abzusehen, würde ein bewusstes In-Kauf-Nehmen des Weiterbestehens rechtswidriger Zustände und damit eine mittelbaren Diskriminierung zur Folge haben; der Versorgungsempfänger wäre Monat für Monat schlechter gestellt als er nach Gesetzeslage zu stellen wäre. Hinzu kommt, dass im Rahmen des mit besonderen Treuepflichten verbundenen Beamtenverhältnisses der Gesetzmäßigkeit der Versorgung ein ganz erhebliches Gewicht beizumessen ist. Die Entscheidung ist seit dem 17.01.2012 rechtskräftig.