Besondere Verhältnisse an historischem Marktplatz rechtfertigen geringere Abstandsflächen: Nachbarklage gegen Bauvorhaben erfolglos

November, 2022 in Bauen und gewerbliche Anlagen, Denkmalschutz

Über ein Bauvorhaben an einem durch historische Gebäude geprägten Marktplatz hatte das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu befinden, nachdem ein Nachbar verschiedene Sachverhalte – insbesondere nicht eingehaltene Abstandsflächen zu zwei Grundstücken – gerügt hatte. Das Gericht wies den Eilantrag jedoch zurück: Die Abstandsflächen von nur 0,53 bis 0,83 m zu dem seitlich angrenzenden denkmalgeschützten Gebäude des Nachbarn seien nach § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBO zulässig, denn das Stadtbild am historischen Marktplatz sei durch eine Bebauung ohne bzw. mit nur geringen Grenzabständen in Form von Traufgassen geprägt. Auch hinsichtlich eines rückwärtig angrenzenden unbebauten Grundstücks desselben Nachbarn lagen aus Sicht des VG besondere Umstände vor, die geringere Abstände erlaubten. Eine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens sah das Gericht nicht, auch nicht unter Gesichtspunkten des Denkmalschutzes.

Für den geplanten Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses am historisch geprägten Marktplatz einer Gemeinde hatte die Baurechtsbehörde eine Baugenehmigung erteilt. Der von der Kanzlei Dr. Melchinger vertretene Eigentümer zweier Nachbargrundstücke – eines mit einem denkmalgeschützten Haus bebaut, das zweite unbebaute Grünfläche – wandte sich nach erfolglosem Widerspruch mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz an das Verwaltungsgericht Karlsruhe.

Das Gericht stellte zunächst fest, dass im vorliegenden Fall seine Überprüfung nicht auf Sachverhalte beschränkt sei, welche bei der Angrenzerbenachrichtigung vorgebracht worden waren (§ 55 Abs. 2 S. 2 LBO), denn diese leide an einem Zustellungsmangel. Die LBO verlange eine förmliche Zustellung nach LVwZG. Hier sei die Benachrichtigung durch eine städtische Mitarbeiterin in den Briefkasten des Nachbars eingeworfen worden, dabei allerdings der für diese Form der Ersatzzustellung anzugebende Grund (§ 5 Abs. 2 LVwZG) nicht in den Behördenakten dokumentiert worden. Eine Heilung des Mangels in Bezug auf die Präklusion scheide aus.

Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorgesehenen summarischen Prüfung sah das Verwaltungsgericht keine Verletzung nachbarschützender Bestimmungen durch die erteilte Baugenehmigung. In bauordnungsrechtlicher Hinsicht verstoße das Vorhaben nicht gegen die Abstandsflächenvorschriften. Für die nördlich gelegene Außenwand, die in einem Abstand von lediglich 0,53 bis 0,83 m zum Nachbargebäude errichtet werden soll, bestehe ein Anspruch auf Zulassung nach § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBO. Vorliegend erfordere dies die Gestaltung des Straßenbildes, denn der historische Marktplatz sei durch eine Bebauung geprägt, die keine oder nur geringe Grenzabstände in Form von Traufgassen aufweise.

Auch zu dem östlich gelegenen unbebauten Grundstück seien trotz Unterschreitung von Abständen nachbarschützende Vorschriften ausnahmsweise nicht verletzt, denn es seien besondere Umstände anzunehmen: Insbesondere sei nach dem dort geltenden Bebauungsplan das Grundstück eine Grünfläche und von Bebauung (einschl. Gartenhütten oder Schuppen) freizuhalten.

Das Verwaltungsgericht verneinte auch einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot. Dem Vorhaben komme keine „erdrückende Wirkung“ zu. Es sei in Bezug auf seine Höhe nicht rücksichtslos, denn in der (bestehenden) stark verdichteten Bebauung der Altstadt sei eine Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung grundsätzlich zu erwarten und hinzunehmen. Es entspreche der Normalität, eine bis zu einer bestimmten Höhe zugelassene grenznahe Bebauung auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Im Übrigen werde eine über das bisherige Maß hinausgehende Verschattung der unteren Fenster an der Südseite des Nachbarhauses ohnehin nur im Sommer eintreten. Da das Gebäude ost- und westseitig über weitere Fenster verfüge, werde es auch nicht völlig verschattet.

Das VG verneinte ferner auch einen Verstoß gegen drittschützende denkmalschutzrechtliche Vorschriften. Grundsätzlich bestehe bei Denkmälern kein Umgebungsschutz. Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnten jedoch Eigentümer geschützter Kulturdenkmäler die Genehmigung von Nachbarbauten anfechten, wenn das Vorhaben die Denkmalwürdigkeit ihres Anwesens möglicherweise erheblich beeinträchtigt. Das wäre der Fall, wenn ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzender Zustand hervorgerufen oder die Wirkung des Denkmals geschmälert würde. Dies treffe hier jedoch nach summarischer Prüfung nicht zu. Auch nach Fertigstellung des Bauvorhabens bleibe das denkmalgeschützte Nachbarhaus erkennbar und werde nicht erheblich beeinträchtigt.

Der Beschluss ist nicht rechtskräftig.