Erschließungsbeitragsbescheid aufgehoben: Voraussetzungen für die Abrechnung nur eines Teilstücks der Erschließungsstraße nicht gegeben

Februar, 2024 in Bauleitplanung und Fachplanung, Kommunen und öffentliche Ordnung

Beitragsbescheid rechtswidrig: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hob den Bescheid einer Gemeinde auf, mit dem die Eigentümerin eines Gewerbegrundstücks zu einem Erschließungsbeitrag von ca. 67.000 Euro herangezogen wurde. Zwar stellte das Gericht nicht die Zulässigkeit der Beitragserhebung als solche in Frage, jedoch sah es die hier vorgenommene Erhebung nur für einen Teil der Straße (Gewerbegebiet) als nicht zulässig an. Es handle sich bei der betreffenden Straße in gesamter Länge um eine einheitliche Erschließungsstraße. Bei dieser liege aber noch keine endgültige Herstellung vor. Zwar sei 2010/11 ein neuer Bebauungsplan erlassen worden, welcher aber nur den westlichen Teil der Straße mit den Gewerbegrundstücken betreffe. Im Osten (Wohnbebauung) gelte noch ein Bebauungsplan von 1970. Dieser wiederum sehe eine geänderte Straßenführung vor, welche aber nie realisiert wurde - wodurch die Beitragsschuld nach KAG bisher nicht entstanden sei.

Erschließungsstraße mit komplexer Vorgeschichte: Der erste Abschnitt der Straße - spitzwinklig von einer Durchgangsstraße abzweigend - war bereits in den 1950er Jahren mit Wohnhäusern bebaut. Um gewerbliche Bebauung zu ermöglichen, wurde 1970 für das Gebiet entlang dieser Straße ein Bebauungsplan erlassen und ein zweiter Abschnitt ausgebaut. Nach Ausbau eines weiteren Abschnitts wurde 2010/11 zur Erweiterung des Gewerbegebiets ein neuer Bebauungsplan erlassen, dessen Plangebiet jedoch nur die gewerblich genutzten Grundstücke umfasst. Die verkehrliche Anbindung der Gewerbegrundstücke an die Durchgangsstraße erfolgt nun über eine neue, westlich gelegene Zufahrt. Am Schnittpunkt der räumlichen Geltungsbereiche der Bebauungspläne von 1970 und 2010 errichtete die Gemeinde Sperrpfosten, um eine Durchfahrt zwischen Wohnbebauung und Gewerbegebiet zu verhindern. Von den Eigentümern der Gewerbegrundstücke erhob die Gemeinde für die endgültige Herstellung der Straße (bis zu den Sperrpfosten) Erschließungsbeiträge nach § 33 ff. KAG in Verbindung mit der örtlichen Erschließungsbeitragssatzung. Hiergegen eingelegte Widersprüche blieben erfolglos.

Die von der Kanzlei Dr. Melchinger vertretene Gemeinde vertrat die Auffassung, am östlichen Ende des Plangebiets des Bebauungsplans von 2010/11 sei eine Straßenbegrenzungslinie festgesetzt worden, die quer durch die Straße laufe. Dies habe zur Folge, dass die (neue) Erschließungsstraße von Westen her hier ende. Damit existierten seitdem tatsächlich und rechtlich getrennte Teilbereiche der Straße und die (neue) Erschließungsstraße für das Gewerbegebiet stelle eine eigenständige Erschließungsanlage dar.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe folgte der Auffassung der Gemeinde nicht und erklärte den Erschließungsbeitragsbescheid für rechtswidrig. Zunächst stelle – ausgehend von einer „natürlichen Betrachtungsweise“ – die Straße in ihrem gesamten Verlauf die maßgebliche Anbaustraße dar, mithin auch der nicht abgerechnete östliche Bereich. Die Straße vermittle den Eindruck einer einheitlichen Straße. Sie sei mit durchgehender Oberfläche und Randstein versehen. Kleinere Unterschiede im Gehwegbereich seien nicht augenfällig und einschneidend. Bei den Sperrpfosten handle es sich lediglich um straßenverkehrsrechtliche Anordnungen, die jederzeit veränderbar seien. Auch der unterschiedliche Charakter der Baugebiete (Gewerbegebiet im Westen, Wohngebiet im Osten) gehöre nach Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte nicht zu den maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung einer Verkehrsstrecke als (nicht) einheitliche Erschließungsanlage. Ein ausnahmsweises Zerfallen in unterschiedlich zu behandelnde Erschließungsanlagen werde nur angenommen, wenn sich Teilstrecken in ihrer Erschließungsfunktion wesentlich unterscheiden, z.B. wenn eine dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist, während die andere als Fußgängerzone dient.  Hier aber komme die gesamte Straße ihrer Funktion als Anbaustraße nach, ermögliche also das Heranfahren mit PKW bei den Wohngrundstücken und zusätzlich mit LKW bei den Gewerbegrundstücken. Der Bebauungsplan setze an besagter Stelle auch keine Straßenbegrenzungslinie fest; es handle sich vielmehr um die Begrenzung des Plangebiets.

Wie das Verwaltungsgericht weiter ausführte, habe die Gemeinde auch nicht in zulässiger Weise im Wege einer Abschnittsbildung nach § 37 Abs. 2 KAG abgerechnet. Es fehle hierfür schon an einer entsprechenden Entscheidung des Gemeinderats.

Ausgehend von der hier abzurechnenden Erschließungsanlage (d.h. der Straße in gesamter Länge) sei die sachliche Beitragsschuld noch nicht entstanden, da im 1. Abschnitt der Straße die Anforderungen des § 41 Abs. 1 S. 1 KAG nicht erfüllt seien. Seit Inkrafttreten des Bebauungsplans von 1970 gebe es eine rechtliche Grundlage für die Herstellung dieses Abschnitts. Laut Plan sollte die spitzwinklige Einmündung in eine rechtwinklige umgebaut werden, um dadurch eine verkehrstechnisch sicherere Lösung zu schaffen. Der Umbau sei aber nie erfolgt, somit der Ausbauzustand nie von dieser Planung gedeckt gewesen und auch nicht als zulässige Planunterschreitung zu qualifizieren. Eine Entscheidung des Gemeinderats, die ursprüngliche Planung aufzugeben, konnte das Gericht auch im Erlass des Bebauungsplans 2010/11 nicht erkennen. Denn gerade der maßgebliche 1. Straßenabschnitt sei hierbei nicht aufgehoben und umgeplant worden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.