Klage gegen Baugenehmigung für Mehrfamilienhaus abgewiesen: Volle Ausnutzung der Vorgaben des Bebauungsplans zulässig

April, 2022 in Bauen und gewerbliche Anlagen, Bauleitplanung und Fachplanung

Die in einem Baugebiet vorhandenen Wohngebäude müssen damit rechnen, dass in ihrer Nachbarschaft größere Wohngebäude errichtet werden, die dem Bebauungsplan entsprechen. Eine volle Ausnutzung der Vorgaben des Bebauungsplans begründet keine Rücksichtslosigkeit eines Vorhabens gegenüber einem Nachbarn. Dies stellte das Verwaltungsgericht Karlsruhe klar und betonte in seinem Urteil auch, dass von einem Bauvorhaben nicht schon dann eine erdrückende Wirkung ausgeht, wenn bisherige Verhältnisse durch eine bauliche Verdichtung geändert werden. Im vorliegenden Fall bewirke der Neubau zwar eine gewisse Verschattung des Nachbargrundstücks; dies beruhe aber auf der im Bebauungsplan ausdrücklich vorgegebenen Grenzbebauung, so dass schon immer mit einer solchen Grenzwand zu rechnen war. Die in der Klage ferner gerügte Lage und Zahl der Stellplätze begründete aus Sicht des Gerichts hier ebenfalls keine Rücksichtslosigkeit.

Die von der Kanzlei Dr. Melchinger vertretene Stadt hatte die Baugenehmigung für ein Mehrfamilienwohnhaus mit sechs Wohneinheiten erteilt. Das Gebäude sollte zwei Vollgeschosse und ein ausgebautes Dachgeschoss erhalten. Vorgesehen waren 12 Stellplätze. Für die geplante Dachkonstruktion mit zwei Satteldächern und dazwischen liegenden Flachdachbereichen erteilte die Stadt eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans. Eine Nachbarin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage gegen die Baugenehmigung. Sie machte u.a. einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot geltend; das Vorhaben widerspreche dem Charakter des umliegenden Wohngebiets mit überwiegend Reihen- und Einfamilienhäusern. Auch seien urbane Auswirkungen wie Kleinkriminalität, Verschmutzung und Verwahrlosung zu befürchten. Die geplanten Stellplätze führten zu erhöhtem Verkehrsaufkommen.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Das Bauvorhaben verstoße nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Nachbarschutz zu dienen bestimmt sind. Im vorliegenden Fall sei nach den planungsrechtlichen Vorschriften des einschlägigen Bebauungsplans an die Grenze zu bauen. Da die Baugrenze nach Süden einen Grenzabstand vorsehe, könne die planungsrechtlich vorgesehene Grenzbebauung also zwingend nur zum nördlichen Nachbargrundstück hin erfolgen. PKW-Stellplätze für Bewohner sind sozialadäquat; nach der Rechtsprechung – insbesondere auch des VGH Baden-Württemberg – sei in der Regel davon auszugehen, dass Stellplätze und Garagen, deren Zahl dem durch die Wohnbebauung verursachten Bedarf entspricht, keine erheblichen, unzumutbaren Störungen hervorrufen. Besondere Umstände, die vorliegend diese Regelvermutung hätten erschüttern können, seien nicht dargelegt worden.

Das VG Karlsruhe verneinte auch eine mögliche Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs. Der Bebauungsplan setze ein allgemeines Wohngebiet fest. Darin seien Wohngebäude allgemein zulässig. Dass das Bauvorhaben hinsichtlich des Maßes der Nutzung Vorgaben verletze, sei nicht ersichtlich. Befürchtungen hinsichtlich Kriminalität oder Verwahrlosung entbehrten jeder Grundlage, zudem gewähre das Bauplanungsrecht keinen Milieuschutz.

Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nach § 15 Abs. 1 BauNVO war aus Sicht des Gerichts nicht gegeben. Das Bauvorhaben bewege sich innerhalb der Grenzen des Bebauungsplans. Die in einem Baugebiet bereits vorhandenen Anlagen müssten damit rechnen, dass in ihrer Nachbarschaft Anlagen verwirklicht werden, die dem Katalog der im Baugebiet zulässigen Anlagen entsprechen. Eine volle Ausnutzung der Vorgaben des Bebauungsplans begründe somit keine Rücksichtslosigkeit. Eine „erdrückende Wirkung“ liege nicht schon dann vor, wenn die bisherigen Verhältnisse durch eine bauliche Verdichtung geändert werden; vielmehr müsse aufgrund Massivität und Lage des Vorhabens eine qualifizierte handgreifliche Störung auf das Nachbargrundstück ausgehen. Dies sei hier nicht gegeben. Eine zweifelsohne entstehende gewisse Verschattung insbesondere im Bereich Terrasse und Erdgeschoss beruhe auf der bauplanungsrechtlich vorgeschriebenen Grenzbebauung, so dass die Nachbarn schon immer mit einer solchen Grenzwand rechnen mussten.

Der Beschluss ist rechtskräftig.