Besondere Verhältnisse an historischem Marktplatz rechtfertigen geringere Abstandsflächen: Nachbarklage gegen Bauvorhaben erfolglos

Juli, 2024 in Bauen und gewerbliche Anlagen, Bauleitplanung und Fachplanung, Denkmalschutz

Über ein Bauvorhaben an einem durch historische Gebäude geprägten Marktplatz hatte das Verwaltungsgericht Karlsruhe zu befinden, nachdem ein Nachbar verschiedene Sachverhalte – insbesondere nicht eingehaltene Abstandsflächen zu zwei Grundstücken – gerügt hatte. Nachdem das Gericht zunächst 2022 einen Eilantrag zurückgewiesen hatte, wies es nun auch im Hauptsacheverfahren die Klage ab: Die Abstandsflächen von nur 0,53 bis 0,83 m zu dem seitlich angrenzenden denkmalgeschützten Gebäude des Nachbarn seien nach § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBO zulässig, denn das Stadtbild am historischen Marktplatz sei durch eine Bebauung ohne bzw. mit nur geringen Grenzabständen in Form von Traufgassen geprägt. Auch hinsichtlich eines rückwärtig angrenzenden unbebauten Grundstücks desselben Nachbarn lagen aus Sicht des VG besondere Umstände vor, die geringere Abstände erlaubten. Eine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens sah das Gericht nicht, auch nicht unter Gesichtspunkten des Denkmalschutzes.

Für den geplanten Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses am historisch geprägten Marktplatz einer Gemeinde hatte die Baurechtsbehörde eine Baugenehmigung erteilt. Der von der Kanzlei Dr. Melchinger vertretene Eigentümer zweier Nachbargrundstücke – eines mit einem denkmalgeschützten Haus bebaut, das zweite eine unbebaute Grünfläche in Hanglage – wandte sich nach erfolglosem Widerspruch zunächst mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz an das Verwaltungsgericht Karlsruhe und verfolgte nach dessen Ablehnung sein Begehren im Hauptsacheverfahren mit vertiefender Begründung weiter.

Das Gericht verwies zunächst auf die bereits im Eilverfahren getroffene Feststellung, dass im vorliegenden Fall seine Überprüfung nicht auf Sachverhalte beschränkt sei, welche bei der Angrenzerbenachrichtigung vorgebracht worden waren (§ 55 Abs. 2 S. 2 LBO), denn diese leide an einem Zustellungsmangel. Die LBO verlange eine förmliche Zustellung nach LVwZG. Hier sei die Benachrichtigung durch eine städtische Mitarbeiterin in den Briefkasten des Nachbars eingeworfen worden, dabei allerdings der für diese Form der Ersatzzustellung anzugebende Grund (§ 5 Abs. 2 LVwZG) nicht in den Behördenakten dokumentiert worden. Eine Heilung des Mangels in Bezug auf die Präklusion scheide aus.

Einen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften der §§ 5 f LBO bezüglich der Abstandsflächen verneinte das Verwaltungsgericht nun auch aufgrund der durchgeführten Ortsbesichtigung mit dem inzwischen errichteten Gebäude. Für die nördlich gelegene Außenwand, die in einem Abstand von lediglich 0,53 bis 0,83 m zum Nachbargebäude des Klägers errichtet wurde, bestehe ein Anspruch auf Zulassung nach § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBO. Vorliegend erfordere dies die Gestaltung des Straßenbildes, denn der historische Marktplatz sei durch eine Bebauung geprägt, die keine oder nur geringe Grenzabstände in Form von Traufgassen aufweise. Dass dies zu einer Verschattung der Südfenster des Nachbarhauses führt - wobei die Räumlichkeiten im 2. Obergeschoss über keine weiteren Fenster verfügen - bewog das Gericht nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Denn nach der Wertung des § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBO müssten nachbarliche Belange hinter der Wahrung des Straßenbildes zurückstehen.

Auch zu dem östlich gelegenen unbebauten Hanggrundstück des Klägers seien trotz Unterschreitung von Abständen nachbarschützende Vorschriften ausnahmsweise nicht verletzt, denn es seien besondere Umstände anzunehmen. Das Verwaltungsgericht argumentierte hierbei – anders als noch im Eilverfahren – nicht mit dem Höhenunterschied der betroffenen Grundstücke und den Festsetzungen des Bebauungsplanes, sondern mit der erheblichen Hangneigung, welche eine städtebauliche Nutzbarkeit nahezu ausschließe. Angesichts des starken Gefälles könne auch eine weitere Freizeitnutzung nur durch erhebliche Geländeverschiebungen ermöglicht werden. Ferner bestehe bereits eine Vorbelastung aus der Verschattung durch bestehende Gebäude entlang der Altstadt, zudem falle die Mehrverschattung durch den Neubau im Vergleich zur früheren Bebauung nicht ins Gewicht.

Das Verwaltungsgericht verneinte auch einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot. Dem Vorhaben komme keine „erdrückende Wirkung“ zu. Es sei in Bezug auf seine Höhe nicht rücksichtslos, denn in der (bestehenden) stark verdichteten Bebauung der Altstadt sei eine Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung grundsätzlich zu erwarten und hinzunehmen. Auch das bestehende Nachbargebäude des Klägers selbst unterschreite Abstandsflächen und trage so zur geringeren Belichtung und Belüftung des Gartengrundstücks in Hanglage bei.

Das VG verneinte ferner auch einen Verstoß gegen drittschützende denkmalschutzrechtliche Vorschriften. Grundsätzlich bestehe bei Denkmälern kein Umgebungsschutz. Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnten jedoch Eigentümer geschützter Kulturdenkmäler die Genehmigung von Nachbarbauten anfechten, wenn das Vorhaben die Denkmalwürdigkeit ihres Anwesens möglicherweise erheblich beeinträchtige. Das wäre der Fall, wenn ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzender Zustand hervorgerufen oder die Wirkung des Denkmals geschmälert würde. Dies treffe hier jedoch nicht zu. Auch nach Fertigstellung des Bauvorhabens bleibe das denkmalgeschützte Nachbarhaus voll erkennbar und werde nicht beeinträchtigt. Auch sei das Neubauvorhaben u.a. vom Landesamt für Denkmalpflege günstig beurteilt worden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.